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Vom Digitalisierungspionier zur DHBW Mannheim
Der neue Maschinenbau-Professor Dr.-Ing. Alireza Vesali im Interview
Mit 27 Jahren, perfekten Englischkenntnissen, einem angeschlossenen Maschinenbau-Studium und erster Berufserfahrung in der Tasche flüchtete Herr Alireza Vesali aus dem Iran nach Deutschland und musste doch bei null beginnen: Sein Studium wurde nicht vollständig angerechnet, Deutsch musste er erst lernen – hatte jedoch damals kaum die Möglichkeit, einen Sprachkurs zu besuchen. Das war im Jahr 2000. Heute berichtet er mit einem heiteren, offenen Wesen von dieser kräfteraubenden Zeit und schaut mit Stolz auf eine trotz widriger Umstände sehr erfolgreiche Karriere, die nach Zweitstudium, Promotion, 7-jähriger Tätigkeit als Prozessentwickler und Digitalisierungs-Key-Player bei der Robert Bosch Manufacturing Solutions GmbH nun in einer Maschinenbau-Professur an der DHBW Mannheim mündet.
Herzlich willkommen an der DHBW Mannheim, Herr Prof. Dr. Vesali! Lassen Sie uns einen Blick auf Ihren Lebenslauf werfen: Bereits mit 27 hatten Sie ein Maschinenbau-Studium in der Fachrichtung Konstruktion abgeschlossen und im Iran als Projektmanager mit Personalverantwortung gearbeitet. Dann kamen Sie ohne Ihre Familie nach Deutschland und die Karten wurden neu gemischt. Welche Schritte haben Sie unternommen, um hier Fuß zu fassen und wie ging es Ihnen in dieser Zeit?
Vielen Dank! Als ich nach Deutschland gekommen bin, habe ich versucht, eine Stelle als Maschinenbau-Ingenieur zu finden. Doch meine Zeugnisse wurden nicht anerkannt. Also habe ich noch einmal studiert: Maschinenbau im Fachbereich Bewegungstechnik und Robotik an der Leibniz Universität Hannover. In dieser Zeit habe ich viel als Hiwi gearbeitet und dabei gemerkt, wie gern ich forsche. Also habe ich mich für eine Promotion entschieden und konnte sie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg zum Thema "Hochleistungs-/Hochgeschwindigkeitsschleifen mit laserstrukturierten CBN-Schleifscheiben" 2016 abschließen. Das gehört eher in den Bereich Fertigungstechnik. Aus jetziger Sicht kann ich sagen, dass dieser Maschinenbau-Salat aus Konstruktion, Robotik, Produktions- und Fertigungstechnik einer meiner Erfolgsfaktoren war, auch für die Arbeit bei Bosch. Ich hatte fundiertes Verständnis, konnte deshalb bei vielem mitreden und mich schnell in neue Themen einarbeiten. Mein Lebenslauf zeigt, dass man natürlich auch als Flüchtling in Deutschland Karriere machen kann, es ist aber nicht immer ganz so einfach. Dafür muss man sich sehr anstrengen. Fachlich, vor allem aber auch emotional. Dennoch hat das seine positiven Seiten. Wie bereits gesagt, sollte ich nochmal studieren, und schon in dieser Studienzeit in Hannover habe ich meine Frau kennengelernt, die mir sehr durch die Zeit geholfen hat.
Ihre letzte Station, bevor Sie Ihre Professur an der DHBW Mannheim begonnen haben, war die Robert Bosch Manufacturing Solutions GmbH in Stuttgart, wo Sie seit 2014 als Prozessentwickler tätig waren. Was waren Ihre Schwerpunkte?
Auf der einen Seite war ich für die Konzeption, Planung und Leitung von Entwicklungsprojekten in der Fertigungstechnik verantwortlich. Mein Schwerpunkt lag hier auf der Prozess- und Verfahrensentwicklung im Bereich der spanenden Fertigung insb. Schleiftechnologie. Ein zweiter Baustein waren Industrie-4.0-Projekte. Bosch ist nicht nur beim Maschinenbau ein Pionier in der Digitalisierung: Das Unternehmen investiert allgemein sehr viel in die digitale Transformation, auch in hochqualifiziertes Personal der Fachgebiete Informatik, Data Science, Künstliche Intelligenz (KI) etc. Ich habe mich z. B. mit digitalisierter Fertigungstechnik beschäftigt und Smart Machine Tools entwickelt. Die Betreuung von Praktikant*innen und Studierenden – darunter DHBW-Studierende – gehörte ebenfalls zu meiner Arbeit.
Warum haben Sie sich für den Schritt aus der Industrie in die Lehre entschieden?
Ich komme aus einer fünfköpfigen Familie. Mein Vater war Lehrer, meine Schwester ist Dozentin im Iran, mein Bruder ist Maschinenbau-Ingenieur und lehrt an einer Universität in Kanada. Die Lehre liegt uns allen im Blut und ich wollte sie schon immer sehr gern in meinem Leben haben. Das hat auch geklappt: Parallel zu meiner Promotion habe ich als Teamleiter und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kompetenzzentrum für Schleiftechnologie und Feinstbearbeitung (KSF) der Hochschule Furtwangen gearbeitet und Vorlesungen gehalten. Während meiner Bosch-Zeit war ich zusätzlich als Lehrbeauftragter an der Hochschule Furtwangen tätig. Die Vorlesungen drehten sich um Werkzeugmaschinen und digitale Fertigungstechnik. Und auch meine sonstige Arbeit bei Bosch gehörte ja zum Bereich Forschung und Entwicklung, der klare Schnittstellen zur Professur hat. Aber dann war die Zeit reif für Lehre in Vollzeit und ich bin sehr glücklich über die Stelle an der DHBW Mannheim. Ich hatte sogar ein Angebot von einer anderen Hochschule, habe mich aber ganz bewusst für die DHBW Mannheim entschieden.
Welche Veranstaltungen bieten Sie an, was kann man bei Ihnen lernen und was davon finden Sie besonders spannend?
Meine ersten Veranstaltungen haben Ende März begonnen, also hatte ich einiges an Vorbereitungszeit. Das war gut, denn Lehre an der Dualen Hochschule ist anders als an der Hochschule, da muss man sich ein bisschen einarbeiten. Ich halte in den Studienrichtungen Allgemeiner Maschinenbau, Konstruktion und Entwicklung sowie Produktionstechnik Vorlesungen zu Fertigungstechnik, Werkzeugmaschinen, Messtechnik, Produktionstechnik und digitale Produktionstechnik, evtl. kommt noch ein neues Modul zu Industrie 4.0 und Digitalisierung dazu. Auf die Digitalisierungsthemen freue ich mich besonders – ich bin auch als Professor für Maschinenbau mit Fokus auf digitaler Produktionstechnik angestellt und kann sehr viel aus meiner Bosch-Zeit weitergeben. So viele Projekte, so viele Probleme, ich könnte ein Jahr lang Tag und Nacht erzählen. Und es ist ein Gebiet, das sich rasant weiterentwickelt – sogar alle Spezialist*innen lernen noch sehr viel dazu.
Was reizt Sie an Ihrer Aufgabe? Haben Sie sich ein bestimmtes Ziel gesetzt?
Ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit mit den Studierenden – wenn sie motiviert sind, können sie auch viel leisten. Zu meinen Zielen gehört, dass ich ihnen das Wichtigste zur Digitalisierung beibringe. Denn es ist so, dass alle darüber sprechen, aber viele nicht wissen, was genau dahintersteckt – oder sich nur sehr oberflächlich damit auskennen. Ich werde meinen Studierenden das Know-how vermitteln und ihnen die Hilfsmittel an die Hand geben, um nicht nur über die digitale Transformation zu sprechen, sondern loslegen zu können.
Inwiefern können Studierende von Ihrem beruflichen und wissenschaftlichen Know-how profitieren?
Neben einem breiten Fachwissen hat es mir in meiner beruflichen Laufbahn und auch während meiner Promotion sehr geholfen, dass ich analytisch vorgegangen bin. Beides möchte ich meinen Studierenden beibringen: Sie werden sich grundlegendes fachliches Verständnis aneignen und lernen, analytisch und strukturiert zu denken, um als Ingenieur*innen problemlösungsorientiert zu handeln. Wichtig ist auch Effizienz: Agil arbeiten, möglichst wenige Fehler machen, gute Ergebnisse erzielen und nicht zu perfektionistisch sein, denn das raubt Zeit. Das lernt man nicht in den 3 Jahren an der DHBW Mannheim, das lernt man als Ingenieur*in on the job und muss immer wieder neu abwägen und Prioritäten setzen. Aber bei uns bekommt man sehr gute Grundlagen dafür.
Gibt es etwas, das Sie Ihren Studierenden mit auf den Weg geben möchten, z. B. für ein erfolgreiches Studium?
Seien Sie mit Leidenschaft dabei, sonst ist es Zeitverschwendung. Und lassen Sie sich stets fortbilden, investieren Sie in sich selbst. Bleiben Sie am Ball und halten Sie sich up to date, vor allem in so einem sich schnell entwickelnden Feld wie die Digitalisierung. Nur so können Sie verstehen, wovon in Fachkreisen gesprochen wird. Außerdem würde ich jeder*m raten – egal, in welchem Beruf man arbeiten möchte –, eine Programmiersprache zu lernen oder sich mit Software unterschiedlicher Fächer zu beschäftigen. Alles dreht sich um Data, daher ist es notwendig, darüber Bescheid zu wissen. Ich denke, das sind wichtige Aspekte für Erfolg im Studium und im Beruf. Aber natürlich sollte man auch nicht vergessen, zu leben und das Leben zu genießen.
Sie haben schon erwähnt, dass Sie bei Bosch im Bereich Forschung und Entwicklung gearbeitet haben. Möchten Sie auch an der DHBW Mannheim Forschungsprojekte umsetzen?
Momentan liegt mein Fokus auf der Lehre. Aber zukünftig würde ich sehr gern forschen, auch gemeinsam mit Kolleg*innen und Studierenden. Ich würde an meine Bosch-Inhalte anknüpfen: Digitalisierung, Intelligente Werkzeugmaschinen und Künstliche Intelligenz. Das Schöne an der DHBW Mannheim ist, dass ich hier die Erkenntnisse aus der Forschung direkt an die Studierenden weitergeben kann. Mit Bosch sind wir schon im Gespräch wegen einer Außenrundschleifmaschine für den Campus Coblitzallee, die z. B. für Studienarbeiten in der Fertigungstechnik und für spannende kooperative Forschungsprojekte genutzt werden könnte. Ich habe auch noch ein paar andere Forschungsideen. Dabei habe ich immer die Frage im Blick, wie man die Industrie unterstützen könnte.
Was machen Sie, wenn Sie nicht arbeiten?
Mit meiner Frau habe ich zwei Kinder, eine 5-jährige Tochter und einen 9-jährigen Sohn. Wir vier verbringen sehr gern Zeit miteinander. Zum Beispiel reisen wir unglaublich gerne. Ich lege sehr viel Wert darauf, dass unsere Kinder andere Länder und meine Heimat kulturell kennenlernen und so viel Zeit wie möglich mit den Großeltern im Iran verbringen. Außerdem mag ich es, handwerklich an unserem Haus in Stuttgart zu arbeiten oder mich im Sommer um den Garten zu kümmern.
Vielen Dank und alles Gute, Herr Prof. Dr.-Ing. Vesali!