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Löst Probleme von Labor bis Logistik
Willkommen an der DHBW Mannheim - Interview mit Prof. Dr. Nathan Sudermann-Merx
Bewegungsplanung von Robotern, Kraftwerkbetrieb und optimale Lagerbestände. Auf den ersten Blick würde niemand denken, dass sich in all diesen Bereichen ähnliche Problemstellungen ergeben oder gar ähnliche Lösungen gefragt sind. Doch Methoden mathematischer Optimierung und des maschinellen Lernens lassen sich interdisziplinär anwenden. Als Data-Science-Experte hat Prof. Dr. Nathan Sudermann-Merx in allen oben genannten Bereichen bereits gearbeitet. Eine seiner großen Leidenschaften ist die Weitergabe von Wissen. Seit 1. Mai 2021 verstärkt er daher das Professor*innenteam in der Informatik an der DHBW Mannheim. Ab 1. Oktober übernimmt er die Studiengangsleitung in der Informationstechnik. In unserem Interview sprechen wir über seinen Werdegang, darüber, wie Algorithmen lernen und wie ein erfolgreiches Studium gelingt.
Herzlich Willkommen an der DHBW Mannheim. Schön, dass wir Sie bei uns begrüßen dürfen. Möchten Sie uns kurz durch den beruflichen Weg führen, den Sie beschritten haben, bevor Sie zu uns gekommen sind, damit wir einen Einblick in Ihre Themenfelder bekommen?
Ich habe am Karlsruher Institut für Technologie (ehemals Universität Karlsruhe) Wirtschaftsingenieurwesen studiert und habe dabei schnell gemerkt, dass mich die mathematische Seite des Studiums am meisten interessiert. Mit zusätzlicher Fachliteratur habe ich mich selbst weitergebildet, sodass ich anschließend im Master Mathematik studieren konnte. Meine Doktorarbeit habe ich zu einer Kombination aus mathematischer Optimierung und Spieltheorie geschrieben. Als Kind hatte ich den Film „A Beautiful Mind“ mit Russell Crowe über den Spieltheoretiker John Nash gesehen. Das faszinierte mich schon damals und erst während meiner Promotion fiel mir auf, dass ich ja gerade etwas Ähnliches machte.
Nach meiner Promotion arbeitete ich 1,5 Jahre bei der EnBW als Operations Research Analyst. Dort war es meine Aufgabe zu berechnen, wie viel Energie wann produziert werden soll. Diese hochkomplexe Fragestellung wurde mit Methoden der Mathematischen Optimierung gelöst und ermöglichte einen effizienten Betrieb vieler Anlagen wie beispielsweise dem Steinkohlekraftwerk in Mannheim. Es folgten vier spannende und lehrreiche Jahre bei der BASF. Dort arbeitete ich als Decision Scientist im Bereich Digitalisierung an der Schnittstelle zwischen Mathematischer Optimierung und Maschinellem Lernen. Die Anwendungsgebiete waren hierbei sehr vielfältig. Während wir in der Logistik die Planung der Lagerbestände optimierten, ließen wir in der chemischen Versuchsplanung Machine-Learning-Modelle aus Versuchsdaten Muster erkennen nutzten diese Erkenntnisse, um vielversprechende Vorschläge für die Versuchsplanung neuer Experimente zu generieren. Das Faszinierende dabei war, dass sich die Aufgaben in den unterschiedlichen Bereichen mathematisch oft auf ähnliche oder sogar dieselben mathematischen Probleme herunterbrechen ließen. Sowohl bei der Planung von Roboterbewegungen im Labor als auch bei der Layoutplanung in der Produktion wurden ähnliche mathematische Modelle genutzt. Wenn man also eher aus der Methodik als aus der Anwendung kommt, denkt und arbeitet man automatisch interdisziplinär, was insbesondere für Informatiker*innen interessant ist, die oft und gern interdisziplinär arbeiten.
Was hat Sie an der Dualen Hochschule gereizt?
Ich habe immer schon nebenher sehr gerne gelehrt. Parallel zum Masterstudium hatte ich erstmalig die Gelegenheit an der Hector School eigene Statistik-Vorlesungen anzubieten und auch während meiner „Industrie-Zeit“ habe ich parallel immer Vorlesungen an verschiedenen Institutionen wie der Universität Mannheim, der Hochschule Karlsruhe und dem KIT gehalten. Also eigentlich habe ich schon immer versucht, Studierenden meinen Spaß an Mathematik und mathematischer Modellbildung weiterzugeben. Nebenberuflich zu lehren war allerdings immer ein Spagat, der auch nur möglich war, weil ich meine Zeit im Job flexibel einteilen konnte. Und da dachte ich: Eigentlich wäre es schöner für mich, wenn ich das Verhältnis umdrehen könnte – hauptberuflich in der Lehre tätig sein und gelegentlich Industrie-Projekte realisieren. Das Schöne ist, an der Dualen Hochschule muss ich nichts davon missen, kann wirtschaftsnah Projekte umsetzen, forschen und mich den Großteil meiner Zeit mit dem beschäftigen, was mir am meisten am Herzen liegt: lehren.
Sie starten vergleichsweise früh im Leben in die Lehre. Sehen Sie das als Vorteil?
Ja, definitiv. Ich bin 33 Jahre alt und damit noch relativ nah an der Lebensrealität unserer Studierenden. Ich kann mich beispielsweise noch gut daran erinnern, wie ich nach dem Abitur mit dem Verständnis des seltsam aussehenden Summenzeichens gerungen habe. In unserem Kennenlern-Gespräch hat mir unser Rektor Prof. Nagler erzählt, dass er im selben Alter Professor geworden ist. Ich sehe die große Freiheit, die ich als Professor habe und freue mich sehr darüber, diese über viele Jahre hinweg nutzen zu können, um mich in Lehre, Forschung und spannenden Projekten wie dem RoboCup einzubringen.
Welche Lehrveranstaltungen bieten Sie an? Was finden Sie daran besonders spannend?
Im kommenden Jahr werde ich für die Informatiker*innen Vorlesungen zur Linearen Algebra und Analysis halten. Für das nachfolgende Jahr möchte ich eine Vorlesung zu meinem Steckenpferd Mathematische Optimierungsmodelle anbieten. Ich versuche, meinen Studierenden Wissen über anspruchsvolle Themen zu vermitteln, aber dabei ganz klar auch einen Fokus auf die Anwendung zu legen. Durch den Erfolg des Bereichs Data Science sind moderne IT-Infrastrukturen entstanden, die es ermöglichen, mathematische Ideen sehr direkt und zügig in der Praxis einzusetzen. Dies möchte ich ausnutzen, indem ich beispielsweise in jeder meiner Vorlesungen die Programmiersprache Python einsetze. Es ist heute viel einfacher, Theorien direkt zu testen und Dinge einfach einmal auszuprobieren. Diese praktische Veranlagung möchte ich bei meinen Studierenden fördern.
Haben Sie etwas Bestimmtes, was Sie hier auf jeden Fall machen möchten?
In erster Linie möchte ich möglichst viel lehren. Konkrete Ziele im Sinne einer Liste habe ich keine, aber ich habe einen ganzen Blumenstrauß an Themen auf meinem Tisch liegen. Zum Beispiel darf ich beim RoboCup-Team TIGERs die wissenschaftliche Betreuung übernehmen. Das scheint ein sehr tolles Team zu sein. Das ist eine Sache, auf die ich mich wahnsinnig freue. Zum Semesterstart im Herbst übernehme ich die Studiengangsleitung einer Kurssäule der Informationstechnik in der Informatik. Außerdem plane ich aktive Forschungsprojekte. Zunächst möchte ich aber gut an der DHBW Mannheim ankommen und so viel kennenlernen wie möglich. Ich bin neugierig auf meine Kolleg*innen, die Arbeit mit den Studierenden und lasse mich ansonsten gern von sonstigen Themen überraschen.
Inwiefern können Studierende von Ihrem fachlichen Wissen profitieren?
Meine Erfahrung hat mir gezeigt: Wenn man Mathematik kann, ist das schön und gut, aber wenn das nur im Kopf oder auf dem Papier stattfindet, ist das nicht so schrecklich sinnvoll. Deshalb will ich den Studierenden beibringen, wie sie tatsächlich etwas erschaffen können, das Menschen hilft, ihre Arbeit besser zu machen, beispielsweise, indem mathematische Modelle in einer App zur Verfügung gestellt werden. Das bringe ich aus meiner Zeit bei der BASF mit: Ich weiß, wie man derartige Projekte umsetzt, wie man effizient kommuniziert, wie man programmiert und wie man sein Produkt einführt. Dieses Wissen möchte ich weitergeben.
Sie haben bereits einiges publiziert. Gibt es schon einen Bereich, in dem Sie gerne weiterforschen möchten?
Ja! Ich arbeite momentan in einer aktiven Forschungskooperation mit dem Imperial College in London als akademischem Partner und der BASF als Industriepartner zusammen. Mithilfe von mathematischen Modellen und Machine Learning arbeiten wir daran, Laborversuche zu optimieren. Dabei geht es um die Frage: „Was sind vielversprechende neue Versuche, die ich im Labor durchführen kann, um möglichst gute Produkte zu entwickeln?“ Die BASF schickt uns dafür im ersten Schritt Daten ihrer Versuchsergebnisse. Ein Algorithmus sucht darin dann im zweiten Schritt nach Mustern mit der Frage: Welche Werte stehen wie miteinander in Verbindung? Daraus wird ein Machine-Learning-Modell generiert. Im dritten Schritt sucht dann ein Optimierungs-Algorithmus nach den besten Punkten in dem Machine-Learning-Modell, um Konfigurationen für vielversprechende Versuche zu finden. Diese Vorschläge werden dann im Labor experimentell überprüft und der Datenmenge hinzugefügt. Im besten Fall war der Versuch ähnlich gut wie erwartet. Falls dies nicht zutrifft, können wir unter Verwendung dieses neuen Versuchs unser Machine-Learning-Modell optimieren und so zukünftig bessere Vorhersagen treffen. Im Rahmen des Projekts haben wir bereits ein Open-Source-Paket in Python sowie Artikel dazu veröffentlicht und das möchten wir weiterführen. Darüber hinaus habe ich lose Forschungskooperationen mit befreundeten Forscher*innen.
Welchen Tipp haben Sie für ein gelungenes Studium?
Zum einen ist eine wichtige Frage, die sich Studierende stellen sollten: Was macht man zusammen und was macht man alleine? Ich glaube, viele Studierende tendieren dazu, alles in Gruppenarbeit zu machen. Daher mein Tipp: Nicht in Extreme fallen. Es gibt durchaus Aufgabenstellungen, zu denen man sich ein, zwei Stunden alleine Gedanken machen muss. Das hat den Vorteil, dass, wenn man sich intensiv mit Problemen auseinandersetzt, oft mehr hängen bleibt, als wenn der*die Kommiliton*in einem direkt die Lösung sagen kann. Wenn es alleine nicht klappt, sollte man sich aber unbedingt Hilfe suchen. Das kann sich auf verschiedene Lebensbereiche beziehen: Fachlich, organisatorisch oder auch privat. Vielleicht können Sie an dieser Stelle auch darauf hinweisen, wo man an der DHBW Hilfe bekommen kann.*
Mein zweiter Hinweis zum dualen Studium ist, dass man hartnäckig bleiben muss. Ich weiß, das klingt wie ein Keksspruch, aber: Obwohl es nur diese 3 Jahre sind, ist das Studium eher ein Marathon als ein Sprint. Man rauscht nicht mit einer Motivationswelle durch und dann ist es erledigt, sondern es gibt auch immer wieder Phasen, in denen es deutlich anstrengender ist, bevor es wieder entspannter wird. Man muss eine gewisse Hartnäckigkeit mitbringen um dabeizubleiben, auch wenn einmal Dinge anders laufen als geplant oder eine Vorlesung nicht der Erwartungshaltung entspricht. Wenn das Studium im Großen und Ganzen das ist, was man sich vorgestellt hatte, sollte man auf jeden Fall weitermachen.
Und mein dritter Tipp: Man merkt oft erst im Nachhinein, wozu man Wissen einsetzen kann, das im ersten Moment total unnütz erscheint. Im Bereich der Mathematik ist das der Klassiker. Auch wenn es beispielsweise „nur“ eine neue Denkweise ist, die man lernt, stellt sich gerade das später oft als sehr hilfreich heraus. Das habe ich selbst im Job gemerkt. Deshalb rate ich dazu, einen grundsätzlichen Wissensdurst mitzubringen und beizubehalten. Das Studium ist eine schöne Zeit im Leben, in der man viel lernt und davon kann und muss man später auch zehren.
Und noch als letztes: Falls man das Gefühl hat, noch ein bisschen Zeit übrig zu haben, würde ich empfehlen, sich ehrenamtlich in Projekten zu engagieren. Dies kann auf verschiedenen Ebenen fachlich, kreativ oder karitativ geschehen und ist immer eine schöne Erinnerung an die Studiumszeit.
Was machen Sie, wenn Sie nicht arbeiten?
Ich bin ein Familienmensch und verbringe viel Zeit mit meinen beiden Töchtern und meiner Frau. Interessanterweise ist meine Frau als Physikerin auch im Bereich Data Science unterwegs, sodass wir auch bei Spaziergängen schon mal über Algorithmen fachsimpeln können. Zusätzlich hatte ich in der Pandemie durch das Home Office wieder mehr Gelegenheit, Sport zu treiben. Ich jogge gerne und mache Fitnesstraining. Außerdem spiele ich noch Klavier, meist klassisch, wobei ich in letzter Zeit auch mehr die jazzige Richtung für mich entdeckt habe.
Was wollen Sie den Studierenden außerhalb des Studiums mitgeben?
Das lässt sich denke ich auf drei Punkte herunterbrechen: Wertschätzung, Hilfsbereitschaft und Neugierde. Wertschätzung betrifft vor allem die zwischenmenschliche Ebene. Wenn ich zurückdenke und überlege, warum wir uns unter Kolleg*innen so gut verstanden haben, dann lag es eigentlich immer an diesen drei Faktoren.
Vielen Dank, Professor Sudermann-Merx!