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Meine DHBW: Persönlich
Interview zum Fünfzigsten mit Prof. Dr. Georg Nagler
Als ein Mann des Rechts, der Rhetorik und der Weitsicht sowie mit einem großen Erfahrungsschatz in der Hochschulwelt leitet Prof. Dr. Georg Nagler die DHBW Mannheim seit 2013. Jedes Jahr ein neues Studienangebot an der Mannheimer Studienakademie realisieren, um so den Anforderungen der Wirtschaft gerecht zu werden und die Hochschule kontinuierlich auf einem zukunftsorientieren Level zu halten – das war sein erklärtes Ziel seit Beginn seiner ersten Amtsperiode. Er hat Wort gehalten. Und so kann der promovierte Jurist in diesem Jubiläumsjahr auf knapp 12 ereignisreiche Jahre als Rektor zurückblicken, in denen er die DHBW Mannheim trotz knapper finanzieller Mittel, Corona-Pandemie, Kriegsgeschehen in Europa und Wirtschaftskrisen auf Erfolgskurs gehalten hat.
In unserer Reihe "Meine DHBW | Meine Story" zum 50. Geburtstag des dualen Studiums in Mannheim gibt Rektor Prof. Dr. Georg Nagler Einblick in die Historie der Hochschule, aktuelle Herausforderungen und Ziele für die nächsten Jahre. Er berichtet vom Einzug der Digitalisierung in Gesellschaft und Hochschule und von nötigen Voraussetzungen, um Studierende auch weiterhin zuverlässig für eine sichere berufliche Zukunft qualifizieren zu können.
Herr Nagler, Jubiläen laden dazu ein, Revue passieren zu lassen. Was empfinden Sie, wenn Sie sich die Entwicklung der DHBW Mannheim und des dualen Studiums seit 1974 vergegenwärtigen?
Wenn wir 50 Jahre zurückdenken, sind wir damals ein akademisches Himmelfahrtskommando eingegangen. Niemand hat gewusst, wie sich das Konzept entwickelt und ob das überhaupt funktioniert. Ich bewundere noch heute die 41 Studierenden, die sich damals darauf eingelassen haben. Mittlerweile haben wir nicht mehr nur 40 Student*innen, sondern allein in Mannheim fast 6 000 und inzwischen insgesamt 40 000 Absolvent*innen. Das ist aller Ehren wert und zeigt, dass die Dynamik, die bei uns herrscht, es verdient, noch weitere mindestens 50 Jahre fortgeführt zu werden.
Mannheim als Erfinderstadt lebt von ihrem Pioniergeist. Das duale Studium ist eine weitere Erfindung, die in Mannheim und Stuttgart zum Leben erweckt wurde und heute an 12 DHBW-Studienorten in Baden-Württemberg möglich ist. War die wirtschaftlich starke Region ein Grund dafür, dass Mannheim als Gründungsstandort ausgewählt worden ist?
Davon gehe ich aus – auch wenn ich nicht dabei war. Man muss die Politiker*innen und Wirtschaftsführer*innen von damals loben, dass sie dazu bereit waren, neben den Universitäten, die reformiert werden mussten, und den Fachhochschulen eine dritte Säule der akademischen Ausbildung zu entwickeln. Das ist eine Folge der Bildungsdiskussion der 68er und des Bildungsnotstands gewesen. Das duale Studium in Baden-Württemberg ist eine Bildungsrevolution gewesen, die es nirgendwo anders in Deutschland gegeben hat. Mittlerweile ist es sehr erfolgreich und wird in vielen anderen Bundesländern kopiert. Das muss für uns als DHBW, die das Konzept entwickelt hat, Ansporn sein, uns zu behaupten, unsere akademische Exzellenz aufrechtzuerhalten und sie weiterzuentwickeln.
Bis heute sind das duale Studienmodell und die DHBW erfolgreich – warum?
Das duale Studium zeichnet sich inhaltlich durch eine sehr nachfragegerechte Studienstruktur aus. Keine andere Hochschulart lebt so nahe am Puls der Wirtschaft und Gesellschaft. Beste Belege sind in den letzten Jahrzehnten die Umstellung der Studieninhalte auf Industrie 4.0, die Digitalisierung und seit etwa 2 Jahren der Einstieg in Unterrichtsformen aber auch Applikationsformen der Künstlichen Intelligenz. Mit Zukunftskompetenzen ausgestattet stehen dual Studierende für ein zeitgemäßes modernes Studium, dank dessen sie auf die Herausforderungen von morgen vorbereitet sind. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das vorbildliche Miteinander von Politik, Wirtschaft, engagierten Hochschulangehörigen und zukunftsorientierten Studierenden.
Was war aus Ihrer Sicht im Hochschulalltag früher „besser“? Was ist heute „besser“?
Früher besser war der unmittelbare und tägliche Kontakt mit allen Hochschulangehörigen, das unmittelbare Lernerlebnis und das Bewusstsein, das eigene Wissen und seine eigenen Fähigkeiten selbst durch Geistesarbeit generieren zu müssen. Heute ist sicherlich besser, das fast gesamte Wissen der Menschheit nahezu überall verfügbar zu haben und somit viel weniger Recherche betreiben zu müssen; damit wird die akademische Arbeit in Forschung und Lehre leichter und anspruchsvoller.
Sie leiten die DHBW Mannheim seit 2013. Wie hat sich das duale Studium in dieser Zeit inhaltlich und strukturell verändert?
Enorm. Als ich 2013 angefangen habe, war an Corona nicht zu denken. Wir sind in den letzten Jahren bei Fragen, wie die Bildungswirtschaft mit Schüler*innen umgeht, an Herausforderungen gestoßen. Wir merken, dass das Bildungsniveau der Abiturient*innen nicht mehr das ist wie vor zehn Jahren. Wir beobachten, dass die Digitalisierung und die Smartphonisierung bei jungen Menschen etwas verändert. Dänemark will in der Schule zu Stift und Papier zurückkehren. Das sollte auch uns Warnung sein. Bei allen Bekenntnissen zu Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz müssen wir lernen, dass junge Menschen durch persönliches Engagement mehr vorankommen als durch digitale Angebote.
Wenn ich an 2013 zurückdenke, sehe ich, dass die Prokrastination unter Studierenden signifikant zugenommen hat. Junge Menschen können sich kaum mehr über längere Zeit konzentrieren. Es macht etwas mit einem, wenn man in der Woche mehr als 60 Stunden pro Woche online ist.
Wie reagieren Sie auf diese Veränderungen?
Wir sind eine Hochschule, die versucht, den Präsenzcharakter der Bildung aufrechtzuerhalten. Das haben wir, so gut es ging, auch während der Pandemie gemacht. Mobiles und digitales Lernen hat Vorteile. Ich glaube aber, dass für die akademische Prägung Dialoge, Diskussionen, unmittelbare Auseinandersetzungen und auch die Haptik notwendig sind, um authentisch zu sein. Das ist in Präsenz sehr viel einfacher. Wir wollen eine Generation ausbilden, die weiß und versteht, was sie sagt und sich das nicht von Influencer*innen soufflieren lässt.
Wenn Technik das individuelle Sach- und Faktenwissen ersetzt, was sollte die "Hochschule der Zukunft" dann ihren Student*innen vermitteln?
Die Hochschule der Zukunft sollte vermitteln, dass das Bekenntnis zur Leistung und zur persönlichen Reifung unverändert wichtig ist. Die Hochschule der Zukunft sollte in der Lage sein, auf den unverändert wichtigen persönlichen Basiskompetenzen wie Lesen, Schreiben, mathematisch-wissenschaftliches Rechnen auf der Ebene von Oberstufenmathematik und das Beherrschen von Schlüsselkompetenzen zu bestehen. Und sie sollte es jedem Studierenden ermöglichen, den jeweiligen Lebensraum persönlich gut zu gestalten. KI kann dazu eine Schlüssel-Funktion haben. Aber dazu fällt mir der Satz ein, der KI mit der fundamentalen Nutzung des Feuers durch den Menschen gleichstellt: Feuer und Wasser sind nützliche Diener, aber schlimme Herren. KI sollte ein nützlicher Diener, aber nicht der schlimme Herr werden, der das zerstörerische Feuer der Zukunft sein kann. Es liegt wie beim Feuer an den Menschen, was sie daraus machen. Die KI verantwortungsvoll zu steuern und gegebenenfalls zu bändigen, sollte ein zentrales Anliegen der Hochschule der Zukunft sein.
Was waren die schönsten Ereignisse während Ihrer DHBW-Zeit?
Als schönste Ereignisse möchte ich einige aus dem prallen Leben unserer Studienakademie nennen: Zum einen unsere tollen Feiern zum 40. und jetzt zum 50. Jubiläum der DHBW Mannheim. Des Weiteren ist es immer unvergesslich, bei der Night of the Graduates in wunderschönem Ambiente inmitten der Hochschulfamilie unsere Absolvent*innen zu verabschieden. Außerdem bin ich fast jedes Jahr mit den Studierenden des Studiengangs BWL - Öffentliche Wirtschaft auf eine Auslandsexkursion gefahren, gerne u. a. nach Rom – Zeiten, an die sich alle Teilnehmenden gerne erinnern, mich eingeschlossen. Zur Jahreswende waren früher unsere Weihnachtsfeiern und jetzt unser Neujahrsempfang immer eine schöne Gelegenheit, sich im Kreis der Mitarbeitenden zu sehen. Das Mammut-Event außerhalb des Campus – unsere Aktivitäten auf der BUGA 2023 – ist ebenfalls unvergesslich.
Was ist Ihr Lieblingsplatz an der DHBW Mannheim?
Viele an der Studienakademie wissen, dass ich keine Besprechungen an meinem Schreibtisch mag oder gar da sitzend Audienzen abnehme. Ich sitze viel lieber am Besprechungstisch "über Eck" mit einem Blick auf die schönen Segelmotive des traditionellen SAP-Jahreskalenders. Der Platz wird mir im Ruhestand abgehen.
Was sind aus Ihrer Sicht die dringendsten Themen für die kommenden (Hochschul-)Jahre?
Den Wert der persönlichen Bildung durch gute Ausbildung auch künftig zu praktizieren. Die persönliche Bildungsauthentizität gerade im Dialog mit anderen Menschen oder Partnern zu gewährleisten, denn das kann nicht durch KI ersetzt werden!
Als DHBW Mannheim müssen wir uns außerdem einigen Herausforderungen stellen, damit wir unser hohes Niveau halten können. Der Bund fördert uns zum großen Teil über die Hochschulmittel aus dem Zukunftsprogramm. Wenn der Bund finanzielle Probleme hat, spüren wir das unmittelbar. Auch die Probleme des Landes werden uns die nächsten Jahre beschäftigen. Denken Sie an die neuen Raumkapazitäten, die die DHBW Mannheim dringend braucht. Gleichzeitig wird gute Bildung strukturell immer teurer werden, wenn digitale Medienstudiengänge in Cyber Security oder Digitalisierung vernünftig ausgestaltet werden sollen. Und gleichzeitig müssen wir mit der strukturellen Enge zurechtkommen, die uns in Deutschland nun mal überall begegnet.
Obwohl wir eine Menge zu tun haben, bin ich aber davon überzeugt, dass wir es an der DHBW schaffen, den Anschluss nicht zu verlieren. Dafür sind wir zu gut aufgestellt. Wir müssen aber als Wirtschaftsstandort insgesamt Reformen angehen. Wo sind die Menschen hin, die wir in der Pandemie verloren haben? Ich befürworte mittlerweile eine Pflicht zur Berufsbildung. Alle Menschen sollten einen Beruf erlernen müssen. Nicht, um junge Menschen zu quälen. Es geht darum, ihnen ein selbstbestimmtes, selbstgestaltetes und selbstverdientes Leben zu ermöglichen.
Was wünschen Sie der DHBW für die nächsten Jahre?
Ich wünsche der DHBW und vor allem den Studierenden, dass wir davon wegkommen, als erstes immer bei der Bildung zu sparen. Da würde es helfen, wenn Sponsoren erkennen, dass auch an der DHBW und an anderen Hochschulen – und nicht nur an Universitäten – interessante und kompetente Ausbildung geleistet wird. Für Stiftungen und Mäzenen sind wir in der Region vielleicht noch nicht ausreichend sichtbar. Das wollen wir in den nächsten Jahren ändern und darauf freue ich mich, solange ich dazu noch beitragen kann. Die inhaltliche Kompetenz an der DHBW ist vorhanden. Wenn wir an nur ein paar Schrauben drehen, liegen tolle Jahre vor uns.
Vielen Dank und alles Gute, Herr Prof. Dr. Georg Nagler!
Einige Interview-Ausschnitte finden sich auch im Interview zur Hochschulentwicklung mit Prof. Dr. Georg Nagler in der Anthologie "Campus 2049", die anlässlich des 50-jährigen Bestehens der DHBW Mannheim veröffentlicht wurde.
Entdecken Sie weitere Persönlichkeiten aus der Hochschule in der Reihe "Meine DHBW | Meine Story"