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Lektionen aus der Pandemie für mehr Resilienz
Praxis-Forschungsbeitrag zu innovativem Supply Chain Risk Management von Prof. Dr. Nils-Ole Hohenstein
Wie robust und agil das Risikomanagement global agierender Unternehmen wirklich ist, zeigt sich oft erst in Zeiten von Extremsituationen und externen Schocks, wie der aktuellen Pandemie. „In globalen Wertschöpfungsnetzwerken sind besonders die Logistikdienstleister unter Druck, weil diese ganze Lieferketten orchestrieren und als Bindeglied branchenübergreifender Wertschöpfung letztlich auch unter großem Kostendruck stehen“, sagt Prof. Dr. Nils-Ole Hohenstein. In seinem Paper „Supply chain risk management in the COVID-19 pandemic: strategies and empirical lessons for improving global logistics service providers‘ performance“ hat er die wichtigsten Strategien und Learnings aus der Pandemie für das Supply Chain Risk Management zusammengetragen und dabei erstmals entscheidende Maßnahmen und Erfolgsfaktoren abgeleitet. Das Paper ist im akademisch hochrangigen „The International Journal of Logistics Management“ erschienen. Bereits 2015 hatte Prof. Hohenstein, gemeinsam mit seinen Co-Autor*innen, den Artikel „Research on the phenomenon of supply chain resilience“ im International Journal of Physical Distribution & Logistics Management publiziert, der in den vergangenen Jahren sowie in den Zeiten der Pandemie zu den anerkanntesten und meistzitierten Artikeln in Supply Chain und Logistik Forschungsbereich gehört.
Wie kommen die Studienerkenntnisse zustande?
Dem Paper liegt eine Studie von 21 Interviews mit 10 internationalen Logistikdienstleistern unterschiedlicher Größe zugrunde, worunter sich u. a. Forschungspartner und Ausbildungsunternehmen der DHBW befinden. So konnte Prof. Hohenstein zum Beispiel feststellen, dass Lieferketten gesteuert durch große Logistikdienstleister zwar zur Zeit des Pandemie-Ausbruchs aufgrund ausreichender (Back-up-)Kapazitäten robuster waren und Störungen der Lieferketten teilweise absorbieren konnten, allerdings unter anderem aufgrund von langen Entscheidungswegen oftmals deutlich weniger agil waren. Kleine und mittelständische Logistikdienstleister zeigten sich durch flache Hierarchien deutlich reaktionsschneller und konnten z. B. durch digitale Tools schneller transparente Lieferketten erzeugen und eine hohe Kundenorientierung gewährleisten, um auf die Ereignisse der Pandemie zu reagieren.
Auch verschiedene Fokus-Branchen der Logistikdienstleister sind abgedeckt. Konsumgüter und Pharmaprodukte zeigten beispielsweise zu Beginn der Pandemie eine extrem hohe Nachfrage, wodurch die verantwortlichen Dienstleister enorme zusätzliche Transportkapazitäten auffahren mussten. In der Automobilindustrie hingegen schlossen viele Produktionswerke temporär, wodurch viele Bauteile und Komponenten plötzlich nicht mehr benötigt wurden. Folglich können Logistikdienstleister unterschiedlicher Branchen von erfolgreichen Maßnahmen, Strategien und Erfahrungen als Benchmarks aus Forschung und Praxis profitieren.
Die acht Erfolgsfaktoren für innovatives Supply Chain Risk Management in der Pandemie lassen sich gem. Hohenstein wie folgt charakterisieren:
- Business Continuity Plan: Vordefinierte Maßnahmen- und Kommunikationspläne zum proaktiven Umgang mit Störungen unterstützen die Robustheit der Lieferketten. Logistikdienstleister haben in der Pandemie insbesondere die Erkenntnis erlangt, dass Krisenpläne auch für diskontinuierliche Extremrisiken gewinnbringend waren und künftig weiter ausgearbeitet werden müssen.
- Customer Collaboration: Eine enge Zusammenarbeit mit Kunden und Geschäftspartnern erleichtert die Identifizierung von und Reaktion auf operative und außergewöhnliche Risiken, um die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Störung zu minimieren sowie die Auswirkungen durch schnelle, abgestimmte Gegenmaßnahmen reaktiv zu verringern. Folglich beziehen Logistikdienstleister mit dem Beginn der Pandemie ihre strategischen Kunden noch stärker in die verschiedenen Prozessphasen des Risikomanagements mit ein.
- Communication: Ein intensiver intra- sowie interorganisationaler Informations- und Wissensaustausch stärkt das Vertrauen innerhalb der Wertschöpfungsnetzwerke. Ein verbesserter Informationsaustausch unterstützt Unternehmen dabei, Risiken zu antizipieren und beschleunigt die Reaktionszeit auf disruptive Ereignisse. Die Studienergebnisse zeigen, dass Dienstleister einen kontinuierlichen, automatisierten und datengetriebenen Informationsaustausch mit Partnern und Kunden seit Pandemiebeginn mehr denn je forcieren.
- Company Culture: Eine risikosensitive Unternehmenskultur ermöglicht Mitarbeiter*innen und Führungskräften konkrete Leitlinien und zielgerichtete Schulungen, als auch ein größeres Vertrauen und erweiterte Handlungs- und Entscheidungsspielräume zu geben. „Die Unternehmenskultur ist die ‚DNA‘ im Umgang mit disruptiven Störungen, weil es die essenziellen Handlungs- und Verhaltensmuster der Mitarbeiter*innen widerspiegelt. Qualifizierten Mitarbeiter*innen muss Vertrauen und Empowernment entgegengebracht werden“, fasst Prof. Hohenstein zusammen.
- Digital Transformation: Digitale Technologien verbessern Geschäftsabläufe, indem sie die Reaktionsfähigkeit auf Störungen durch Konnektivität, Kommunikation und Informationsaustausch erleichtern. Die Studie zeigt, dass Logistikdienstleister Digitalisierung als zentralen Erfolgsfaktor und Wettbewerbsvorteil im volatilen und dynamischen Wettbewerbsumfeld ansehen, um z. B. durch Datenanalysen schnellere Maßnahmen einzuleiten und gegenüber Kunden auskunftsfähig über Liefersituationen, Transportverfügbarkeiten und ETA (Estimated Time of Arrival) zu sein.
- Flexibility: Die Kernfähigkeit zur schnellen (Re-)Allokation ungenutzter Ressourcen, um Risiken zu absorbieren und effektiv auf Störungen zu reagieren. Einige Logistikdienstleister planen zum Beispiel in Zukunft vorsorglich Luft- und Seefrachtkapazitäten einzukaufen, um ausreichend Redundanzen in der globalen Lieferkette sicherzustellen.
- Human Resource Management: Eine Einbindung des Personalmanagements in das Risikomanagement ermöglicht eine zielgerichtete Schulung und Ausbildung der Mitarbeiter*innen und fördert eine risikobewusste Kultur. Durch die gesamte Logistikbranche hindurch betonen Unternehmensvertreter*innen, dass Mitarbeiter*innen mit den Erfahrungen im Umgang mit der Pandemie geschult werden müssen.
- Visibility: Eine hohe Informationstransparenz über alle Knoten und Kanten der Transportkette hinweg ist zentraler Schlüsselfaktor im Supply Chain Risikomanagement. Die Visibilität entlang der Lieferkette fördert die Identifizierung und Signalisierung potenzieller Risikoereignisse sowie die Einleitung valider Gegenmaßnahmen mittels Echtzeit-Informationen (z. B. Nachfrage-, Bestands-, Transportdaten).
(Quelle: Hohenstein (2022): Supply chain risk management in the COVID-19 pandemic: strategies and empirical lessons for improving global logistics service providers’ performance, in: The International Journal of Logistics Management)
Die Pandemie als Chance für innovatives Risikomanagement: „Die Uhren der Digitalisierung können nicht mehr zurückgestellt werden.“
Mit Ausbruch der Pandemie wurde vielen Unternehmen bewusst, dass ihre internationalen Lieferketten fragil und störanfällig sind. Die Logistikbranche ist das Rückgrat der Wirtschaft und gilt als sehr traditionell. In der Pandemie ging jedoch ein massiver Digitalisierungs-Ruck durch die Branche mit einer zunehmenden Investitionsbereitschaft in digitale Technologien.
Die Priorisierung beispielsweise von cloud-basierten Lösungen, Big-Data-Analytics und künstlicher Intelligenz fördert die Lieferkettentransparenz, unterstützt die Sendungs-(rück-)verfolgung und Weitergabe von Echtzeitinformationen an Kunden und Geschäftspartner, was folglich eine frühzeitige Identifikation von und Reaktion auf mögliche Risikoereignisse ermöglicht. Ferner werden die Ankunftszeiten (Estimated Time of Arrival) der Transporte realistischer prognostiziert und Liefernetzwerke durch „Was-wäre-wenn-Szenariomodelle“ mittels eines digitalen Zwillings flexibilisiert. Neue Konzepte wie die kontaktlose Zustelllogistik oder digitale Dashboard für eine unternehmens- und funktionsübergreifende Zusammenarbeit ermöglichen robustere Prozesse. „All das sind fantastische Beispiele, bei denen sowohl Kunden als auch Dienstleister sehr schnell starke Effizienzgewinne realisieren und resiliente Risikomanagementprozesse implementieren konnten“, sagt Prof. Hohenstein.
Fazit: Weg von Silodenken hin zu einem übergreifenden und digital-gestützten Supply Chain Risk Management Prozess
Eine wichtige praktische Implikation aus der Studie ist, dass Logistikdienstleister das Thema Risikomanagement ganzheitlich, d. h. über alle Prozessphasen der Identifikation, Bewertung, Maßnahmenauswahl, -implementierung und Überwachung, umsetzen und weiter intensivieren müssen. Weil ausgereifte Lieferketten bis dato wie Uhrwerke funktioniert haben, hat das Thema hat Supply Chain Risk Management als Folge der Corona-Pandemie deutlich an Wichtigkeit gewonnen.
Da all diese proaktiven und reaktiven Maßnahmen zwar kostenintensiv sein können, sich aber in der Pandemie als unerlässlich herausgestellt haben, sieht Prof. Hohenstein auch in Zukunft sowohl den Einbezug von Logistikdienstleistern, als auch die Digitalisierung als einen wichtigen Kernfaktor resilienter globaler Lieferketten. Auch hierfür steht Prof. Hohenstein als Experte gerne zur Verfügung: „Ich freue mich immer, wenn ich mein umfangreiches Wissen aus Theorie und Praxis bei unseren dualen Partnerunternehmen einbringen kann.“